
In unserer eMag-Serie „Kulturen, Kommunikation und Klischees“ sprechen wir mit externen interkulturellen Trainern darüber, wie sie die Teilnehmer ihrer Trainings auf das Leben in anderen Kulturen vorbereiten. Dabei geht es auch um Länderklischees und Fettnäpfchen. So lässt sich ein Rückfall in eigene kulturelle Muster auch nicht immer vermeiden. Die Trainerin Angela Kessel vermittelt ein Bewusstsein dafür und zeigt an konkreten Beispielen Verhaltensmuster auf. Ihr Spezialgebiet: Japan und die Themen Kommunikation, Projektmanagement und Hierarchiesysteme.
eMag: Frau Kessel, was ist das Ziel Ihrer Trainings?
Angela Kessel: Die Trainingsteilnehmer sollen sich möglichst viel praktisches Wissen aneignen, das sich unmittelbar im Arbeitsalltag erproben und anwenden lässt.
eMag: Was steht bei Ihren Trainings im Vordergrund?
Angela Kessel: Ich möchte die Einsicht vermitteln, dass man Fehler und Fettnäpfchen nicht völlig vermeiden kann und muss. Die eigene kulturelle Prägung ist selbstverständlich auch stets präsent. Dies ist jedoch viel weniger gravierend, als wir oft denken. Japanische Geschäftspartner erwarten keinesfalls, dass wir uns als Europäer „japanisch“ verhalten. Solange ein guter Wille und ein aufrichtiges Bemühen erkennbar sind, drücken sie gerne ein Auge zu.
eMag: Was ist Ihnen bei Ihren Trainings besonders wichtig?
Angela Kessel: Mir ist es wichtig, dass wir neben dem Rahmenprogramm viel Zeit haben, die Fallbeispiele der Teilnehmer zu diskutieren. Mein Ziel ist es, weniger allgemeine Aussagen über die jeweilige Zielkultur zu treffen und stärker auf das Arbeitsumfeld einzugehen, in dem sich die Teilnehmer bewegen.
eMag: Was halten Sie von Länderklischees, was haben sie mit Ihren Trainings zu tun?
Angela Kessel: Länderklischees können wir nicht entkommen. Selbst wer lange in einem fremden Land lebt, entwirft ein eigenes Bild von der jeweiligen Kultur, das nicht immer zutreffen muss. So entstehen nicht selten neue, persönliche Klischees. Wichtig ist es, diese Bilder immer wieder zu hinterfragen und zu korrigieren.
eMag: Welches Klischee über Japan stört Sie?
Angela Kessel: In meinen Trainings höre ich immer wieder, dass Japaner sich niemals entschuldigen, weil sie ansonsten ihr Gesicht verlieren. Dieses Klischee trifft nicht zu. Japaner entschuldigen sich eher inflationär und behaupten interessanterweise von uns Deutschen, dass wir uns nur äußerst ungern entschuldigen.
eMag: Vor welchen Fettnäpfchen warnen Sie?
Angela Kessel: Zu viel Spontaneität kann manchmal schaden. Wer nicht so recht weiß, wen er aus einer Gruppe von japanischen Geschäftspartner zuerst begrüßen soll, ergreift vielleicht kurzum die Initiative, geht spontan auf jemanden zu und erwischt prompt den falschen, zum Beispiel rangniedrigsten Kollegen, der erst zum Schluss an der Reihe gewesen wäre. Geduldiges Abwarten kann die Situation retten. Die japanischen Partner werden den „Richtigen“ von sich aus präsentieren.
eMag: Gibt es ein Klischee über Deutschland, dem Sie beipflichten würden oder das Sie bei sich selbst erkennen?
Angela Kessel: Nach diversen Auslandsaufenthalten musste ich erkennen, dass das Klischee von der deutschen Ordnungsliebe keinesfalls aus der Luft gegriffen ist und ich selber das beste Beispiel bin – wenn man einmal von meiner stets chaotischen Handtasche absieht.
eMag: Worin unterscheiden sich die japanische und die deutsche Kultur wohl am meisten und welche Probleme bringt das mit sich?
Angela Kessel: Japaner denken eher personenorientiert. Ihnen sind gute Beziehungen und eine angenehme Atmosphäre oft wichtiger als den tendenziell sachorientierten Deutschen. Für uns spielen Effizienz und Zielorientierung eine bedeutsame Rolle. Als bestes Beispiel gelten die unterschiedlichen Kommunikationsstile. Während Japaner ein direktes „Nein“ und offene Kritik gerne vermeiden, um die persönlichen Beziehungen nicht zu belasten, herrscht in Deutschland ein zwar höflicher, aber doch sehr deutlicher Sprachstil vor. Das kann zu Schwierigkeiten führen. Die Japaner sind vielleicht geschockt von der deutschen Sachlichkeit und Offenheit. Die Deutschen hingegen verstehen manchmal nicht, was ihre japanischen Partner eigentlich meinen.
eMag: Hat sich im Laufe der Jahre etwas an Ihren Trainings grundlegend verändert?
Angela Kessel: Meine Trainings sind deutlich interaktiver geworden. Außerdem ist das Themenspektrum sowohl in der Breite als auch in der Tiefe gewachsen. Die Teilnehmer erwarten heute mit Recht, dass Fallbeispiele möglichst gut auf ihre Situation zugeschnitten sind.
eMag: Nehmen wir an, die Reise in den fremden Kulturraum beginnt schon in kurzer Zeit. Bieten Sie auch „Last-Minute-Trainings“ an? Was ist Ihnen dann wichtig, den Teilnehmenden noch mit auf den Weg zu geben?
Angela Kessel: Ich gebe sehr oft Last-Minute-Trainings – auch per Telefon oder Webkonferenz. Die Trainingszeit ist dann meistens sehr kurz. Umso mehr kommt es darauf an, punktgenau die Informationen zu bieten, die die Teilnehmer brauchen. Das können Infos zu Etikette und Kommunikation sein, oftmals haben die kurzfristigen Trainings aber einen Coaching-Charakter. Ich gehe mit den Teilnehmern dann konkrete Situationen durch, die sie bei Ihrer Reise erwarten.
eMag: Und wenn ich bereits mit Kollegen aus anderen Ländern zusammenarbeite, kann ich dann trotzdem noch etwas von Ihnen lernen?
Angela Kessel: Wenn die ersten Schritte getan sind und die Kooperation mit den japanischen Partnern bereits läuft, stehen oft die eigentlichen Herausforderungen an: Termindruck und Stress im Projekt sorgen dafür, dass interkulturelle Themen in den Hintergrund rücken und beide Kulturen in ihre gewohnten Muster zurückfallen. Ein Training oder Coaching, das sich gezielt mit der aktuellen Thematik im Projekt befasst, bringt tiefere Erkenntnisse und das Schiff wieder auf Kurs. Manchmal bietet sich in einer solchen Situation auch ein Training zusammen mit den japanischen Partnern an.
eMag: Haben Sie abschließend noch einen Tipp für uns und unsere Kollegen?
Angela Kessel: Zwar gibt es aus meiner Sicht in der interkulturellen Kommunikation nicht wirklich Allgemeinrezepte, die immer gelingen. In Japan ist es aber hilfreich, auch eine Absage oder negative Antwort nicht mit einem unumwundenen „Nein“ zu beginnen. Besser ist es, zunächst einmal zu sagen, dass man den Sachverhalt prüfen möchte oder etwas Zeit braucht. Das gilt insbesondere dann, wenn man mit japanischen Kunden zu tun hat.
eMag: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kessel.
Über Angela Kessel
Angela Kessel kommt aus Deutschland, lebt und arbeitet dort. Seit 1998 ist sie interkulturelle Trainerin und beschäftigt sich mit der Schnittstelle Japan / Europa. Sie bietet sowohl Japan-Trainings für europäische Teilnehmer als auch Deutschland- und Europa-Trainings für japanische Zielgruppen an. Ihre Spezialgebiete sind die Themen Kommunikation, Projektmanagement und Hierarchiesysteme. Obwohl sie in Japan bereits gelebt hatte und die Sprache recht gut beherrschte, hatte sie als Mitarbeiterin einer japanischen Firma in Japan anfänglich große interkulturelle Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Daraufhin beschäftigte sie sich intensiv mit dem Thema „Interkulturelle Kommunikation in Japan“. Durch Zufall lernte Angela Kessel den Personalberater einer großen japanischen Firma kennen, der sie einlud, ein internes Training durchzuführen. Das war der Startpunkt ihrer Trainerkarriere.
Die Autorin Valerie Woop schreibt für das Mitarbeitermagazin von Infineon Technologies AG.